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Titel
Gottes Werk und Bosos Beitrag. Die Bewältigung des Alexandrinischen Schismas (1159–1177) in den Papstviten des Kardinals Boso


Autor(en)
Pongratz, Stephan
Reihe
Papsttum im mittelalterlichen Europa
Erschienen
Köln 2023: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Eßer, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Dem Liber pontificalis wurde zuletzt vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt.1 Zu diesem erfreulichen Trend trägt Stephan Pongratz nun mit einer Arbeit zur Fortsetzung Kardinal Bosos bei. Die Dissertation greift Tendenzen der jüngeren historiographischen Forschung auf – etwa zur pragmatische Schriftlichkeit und causa scribendi – und präsentiert die Papstviten in einem neuen Licht. Der Verfasser verfolgt dabei ein doppeltes Erkenntnisinteresse: Indem er die Erzähltechnik und -mittel untersucht, will er „die Funktion historiographischen Erzählens im Rahmen der Papstgeschichte“ (S. 19) herausarbeiten. Ausgehend von einer kritischen Betrachtung der Darstellungsabsicht will er zudem den Aussagewert des Textes neu erheben und damit auch „neue Impulse für unser Verständnis der Ereignisgeschichte“ (S. 19) geben.

Nach der Einleitung (S.15–36) nimmt Pongratz Autor und Werk in den Blick (S. 37–87). Boso sei als „Mitglied der Pisaner Gruppe“ (S. 45), der unter anderem Eugen III. und Alexander III. angehörten, in den 1130er-Jahren an die Kurie gelangt. Dort habe ihn sein Werdegang über Tätigkeiten in der Kanzlei und als Kämmerer sowie seine Ernennung zum Kardinaldiakon schnell in das nächste Umfeld des Papstes geführt. Zu Beginn des Schismas habe er als Kämmerer noch einmal eine „Schlüsselrolle“ (S. 46) eingenommen, bevor er mit Beginn der Abfassung seiner Viten in den Hintergrund getreten sei. Begonnen habe Boso sein Werk 1164 und bis zu seinem Tod 1178 weiter daran gearbeitet, bis der Text mit dem zweiten adventus 1178 sein intendiertes Ende gefunden habe. Neben dokumentarischen und historiographischen Quellen habe Boso sich auch auf bildliche und „mündlich[e] Quellen […] der kurialen Erinnerungsgemeinschaft“ (S. 68) gestützt, bevor er schließlich ab dem Pontifikat Innozenz’ II. auf die eigene Erfahrung habe zurückgreifen können. Der Umgang mit den Vorlagen sei ganz der Bewältigung des Alexander-Schismas verpflichtet. Der Überlieferungskontext lasse zudem vermuten, dass das Werk als „Hilfsmittel für die Kammer“ (S. 87) zur Bewältigung zukünftiger Krisen gedient habe; so sei es beispielsweise während der Auseinandersetzung des Papsttums mit den Staufern Mitte des 13. Jahrhunderts verstärkt rezipiert worden.

Das zweite Kapitel ist den Hauptmotiven Bosos gewidmet (S. 88–110). Das Gegensatzpaar von humiliatio und exaltatio gebe „den Takt des Werks vor und strukturier[e] die Ereignisse im Sinne des Autors“ (S. 94). Das Erzählschema erlaube Boso, die Konkurrenten des aktuellen Schismas als moralische Gegenbilder zu charakterisieren und den Ausgang des Kampfes durch die „Bewegung der humiliatio zur exaltatio“ (S. 100) zu präfigurieren. Darüber hinaus könne das Schisma mit früheren Krisen, die ebenfalls diesem Schema unterworfen werden, in eine Reihe gestellt und als wiederkehrende Demutsprüfung charakterisiert werden. Das zweite Motiv des Vicarius Christi nutze Boso ebenfalls, um die Konkurrenten des Schismas in ein eindeutiges Verhältnis zu rücken, indem er sie als imago Christi und ydolum charakterisiere. Zudem trage die Christusähnlichkeit des Papstes dazu bei, die von Alexander ertragene Krise mit dem Leben und Leiden Christi in Verbindung zu bringen und somit zu legitimieren.

Der Hauptteil der Studie gliedert sich sodann in drei Großkapitel, die sich jeweils mit einer der „Sphären der Autorität“ (S. 36) auseinandersetzen, in denen Boso den Anspruch seines Prätendenten rechtfertigen musste. Hinsichtlich der „Durchsetzung von Alexanders Autorität in der Weltkirche“ (S. 111–212; Zitat S. 113) setzt sich der Verfasser mit der Grundlegung des Machtanspruchs in der Papstwahl und mit seiner praktischen Umsetzung auseinander. Mit Blick auf die Papstwahl 1159 sei Boso mit der zwiespältigen Wahl und dem fehlenden Rückhalt seines Kandidaten in Rom konfrontiert gewesen. Indem Boso historische Wahlen hervorhebe, die von der Norm abwichen, könne er beweisen, „dass krisenhafte Papstwahlen nicht zu unkanonischen Ergebnissen führen mussten“ (S. 116). Die Darstellung der Wahl an sich sei eng an Alexanders Wahlanzeige angelehnt. Die Immantationsszene werde wiederrum zur Schlüsselszene, in der Alexander seine Eignung als Petrusnachfolger beweise. Insgesamt sehe Boso Wahl und Erhebung stark im römischen Kontext verwurzelt, sodass er die ausgebliebenen bzw. andernorts stattgefundenen Bestandteile durch den adventus von 1165 zu kompensieren suche.

In seiner Darstellung unterstütze Boso den Standpunkt Alexanders, dass Konzilien einzig unter Leitung des Papstes einberufen und durchgeführt werden können, dieser aber nicht von einem solchen gerichtet werden könne. Boso stilisiere Konzilien zu Szenen päpstlichen Triumphes, in denen ihre Ansehensmacht in der christianitas verdeutlicht werde. Durch die erfolgreichen Konzilien Alexanders werde zudem anschaulich gemacht, dass er trotz der Krise seine alltäglichen Amtspflichten nicht vernachlässige. Die von Boso beschriebenen Legationen seien stets von Erfolg gekrönt und belegten damit die verbreitete Anerkennung Alexanders sowie die Kompetenz der entsandten Kardinäle. Boso betone deren zentrale Rolle als Mitarbeiter der Päpste, sei ihre Unterstützung doch entscheidend für den Erfolg päpstlichen Handelns gewesen. Sein Werk sei folglich Ausdruck „[des] Selbstverständnis[ses] eines selbstbewussten Kollegiums, das sich als exklusives Führungsgremium der Kurie“ (S. 207) verstanden habe.

Das vierte Kapitel setzt sich mit Alexanders Interaktion mit weltlichen Herrschern, seinen Verbündeten und Gegnern auseinander (S. 213–377). Anhand der Herrschertreffen inszeniere Boso die Anerkennung der päpstlichen Autorität und das einträchtige, gemeinsame Wirken. Pongratz zeigt auf, wie Boso das nicht konfliktfreie Verhältnis des Papstes zu seinen Verbündeten durch erzählerische Eingriffe glättet. Seine Darstellung sei durch die vergebende Haltung des Papstes sowie die demütige Einsicht ihres Fehlverhaltens und die Anerkennung des päpstlichen Autoritätsanspruchs durch die Herrscher bestimmt. Den Kern des Werks stelle die Darlegung des Verhältnisses Alexanders zu Barbarossa dar, das Boso nicht als Kampf zwischen Gut und Böse verstehe; vielmehr vertrete er die Ansicht, dass die Christenheit idealerweise von Papst und Kaiser gemeinsam geleitet werden solle. Der Staufer werde nicht als „Bösewicht“ (S. 214), sondern als hochmütiger, fehlgeleiteter Herrscher dargestellt, der schließlich aus eigenen Stücken Alexanders Standpunkt anerkannt habe.

Im letzten Kapitel wird die „territoriale Autorität“ des Papstes betrachtet (S. 378–476). Während des Schismas konnte Alexander weder die Herrschaft über Rom noch über das Patrimonium erfolgreich sichern; um Alexander dennoch als „etablierte[n] Landesherren“ (S. 472) darzustellen, habe Boso einige Anstrengungen unternommen. So gehe er auf die Treuebindung der Normannen an das Papsttum ein und charakterisiere die Auseinandersetzung mit Barbarossa als „große[s] Friedensprojekt“ (S. 472), um die Bedeutung kleinerer, regionaler Krisen zu schmälern. Auch die Herrschaft über die Petrusstadt habe Boso mit einem Dilemma konfrontiert: Einerseits verstehe er die Stadt als „symbolkräftige[s], in geistlicher wie weltlicher Hinsicht unersetzbare[s] Zentrum des Papsttums“ (S. 472), andererseits kritisiere er die fehlende Unterstützung, die seinem Papst dort entgegengebracht worden sei. Um das Problem zu lösen, teile er die Stadtbevölkerung in soziale und politische Gruppen mit unterschiedlichen Erzählfunktionen als Gegner oder Anhänger des Papstes ein. Auf eine „Ablösung des Papsttums von der urbs“ (S. 473) deute in Bosos Legitimierungsanstrengungen noch nichts hin. Während der adventus von 1165 zunächst die nach der zwiespältigen Wahl ausgebliebenen Erhebungsrituale kompensiert habe, sei der adventus von 1178 der „triumphal[e] Schlussakkord“ (S. 379) der Alexander-Vita, in dem der siegreiche Papst die Stadtherrschaft symbolisch einnehme.

Ein Fazit fasst die Ergebnisse übersichtlich zusammen (S. 477–495). Im Anhang finden sich ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister.

Insgesamt legt der Autor eine facettenreiche Tiefenstudie vor, die die Darstellungsabsicht und Erzähltechniken Kardinal Bosos erstmals über alle 18 Papstviten hinweg betrachtet. Es gelingt ihm nicht nur, durch häufige Verweise auf die übrige Kontroversliteratur des Alexandrinischen Schismas, Bosos Geschichtskonstruktion in die alexandrinischen Legitimationsbemühungen einzubetten. In großer Detailliertheit kann er darüber hinaus aufzeigen, wie der Kardinal durch ein akribisch konstruiertes, homogenisiertes Geschichtsbild versucht, das Papstschisma für seine zeitgenössische und zukünftige Leserschaft zu erklären und zu bewältigen. In vielen Aspekten kann Pongratz den Blick der Forschung erweitern; seine Arbeit bietet weiteren Studien zu Bosos Fortsetzung des Buchs der Päpste ein tragfähiges Fundament.

Anmerkung:
1 Wendan Li, Die Vita Papst Gregors IX. (1227–1241). Papst und päpstliches Amt in kurialer Sicht (Papsttum im mittelalterlichen Europa 9), Köln 2021; Klaus Herbers / Matthias Simperl (Hrsg.), Das Buch der Päpste – Liber pontificalis: Ein Schlüsseldokument europäischer Geschichte (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementheft 67), Freiburg i. Br. 2020; Rosamond McKitterick, Rome and the Invention of the Papacy: The Liber pontificalis (The James Lydon Lectures in Medieval History and Culture), Cambridge 2020.

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